Franziska Biberkopf an Claudia Roth & Joe Chialo
03 Januar 2024
Sehr geehrter Herr Kultursenator Chialo,
sehr geehrte Kulturstaatsministerin Roth,
Meine Internationalen Kolleg*innen haben mich freundlicherweise daraufhingewiesen, daß Kunstschaffende in Deutschland von nun an, mit Prüfung ihrer Aktivitäten auf den Sozialen Medien und mit einer vertraglichen Bindung an dieDeutsche Staatsräson zu rechnen haben, wenn sie in Deutschland am offiziellenkulturellen Leben teilnehmen möchten. Ich habe meinen Kolleg*innen, die besorgtund alarmiert schienen, mitgeteilt, daß sie sich keine Sorgen machen sollen. Ich jedenfalls wäre komplett sorgenlos, weil ich mir nichts zuschulden habe kommenlassen. Seit meiner Zeit im Gefängnis im Iran, in der mir in Verhören nahegelegtwurde nur noch Blumen zu fotografieren wenn ich weiterhin künstlerisch tätig seinwill, habe ich genau das getan. Ich habe seit vierzehn Jahren Blumen fotografiert. Ich habe das auch immer fleißig auf meinem Instagram dokumentiert. Daß jedeBlume lautlos Palästina brüllt sage ich niemandem. Das geht auch niemanden etwas an. Also wenn irgendjemand bei mir einen “Background Check” machen sollte, wirder oder sie nichts finden. Meine Kunst hat keinen Background dem man trauenkönnte und ich als Kunstschaffende sowieso nicht. Ich habe nur den Grund auf dem ich mehr oder weniger aufrichtig zu stehen versuche. Der Grund hat mich auch immer wieder dankbar aufgenommen, auch ohne Background.
Ich glaube es liegt generell ein Missverständnis vor. Das habe ich schon damals zu meinem Verhörer in Teheran gesagt. Also ich habe es nicht laut gesagt, aber ichhabe es lautlos durch die Blume gebrüllt. Ich sagte “Glaubt ihr wirklich, daß Blumen ahnungslos sind?” Mein Verhörer verstand nichts von Kunst von daher habe ich das nicht weiter ausgeführt. Aber mir scheint, daß dieses Missverständnis zu einem Blumenmeer führen wird aus dem kein Kultursenator, keine Kulturstaatsministerium, von keinem Land, je wieder herausfinden wird. Wenn Sie sehr geehrter Herr Chialo, sehr geehrte Frau Roth sich also sicher wähnen, weil sie mein Social Media habenprüfen lassen und nichts finden konnten, dann haben sie sich verirrt. Und Ihre Verirrung ist ahnungsloser als jedes Blumentöpfchen, daß kippelnd auf dem Balkonsims im dritten Stock über unseren Köpfen wankt.
Kunst war noch nie sicher und sie wird es durch Ihre Maßnahmen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht werden. Was aber sicher scheint, und daß habe ich auchmeinen internationalen Kolle*innen gesagt, die in Deutschland nicht mehr ausstellenwollen, ja die sogar das Land meiden wollen, ich sagte beruhigend, “Das wirdDeutschland gut tun. Es war schon immer gut darin Monokulturenherbeizuimaginieren und jetzt kann es wieder einmal beweisen, daß es das immer noch kann.” Im Ernst, ich habe mir in den letzten Jahren vermehrt Sorgen gemachtum die Deutschen, also die Bio-Deutschen. Erst fingen sie an von Multikulti zusprechen, dann von Willkommenskultur und Toleranz und daß Deutschland jetzt einEinwanderungsland wäre. Ich habe nie recht verstanden was sie meinten und mir machte das eher Sorgen ehrlich gesagt. Ich wußte, daß Deutschland wieder Weltmeister werden möchte. Aber eben mit einem Team, daß bis auf die Schlüpper gefilzt, blitzsauber und loyal für die Staatsräson in den Ball tritt. So will Deutschland wieder mitspielen in der obersten Liga der Imperialen Hegemonie, der Verteidiger westlicher Werte, der Weltmeister eben. “Sie brauchen das für Ihr Selbstbewusstsein.” Meine internationalen Kolleg*innen sahen mich mit immer größeren Augen an. Ich sagte zu ihnen, “lass uns mal schaun was Deutschland alleine hinkriegt. Sie möchten jetzt erst mal in Ruhe ihr neu gebauteStadtschloßattrappe geniessen und an die gute alte Zeit des Kaiserreichs anknüpfen. Sie brauchen ja schließlich auch eine Identität. Etwas wofür sie stehen, worauf sie stolz sein können.” Und das Humboldtforum scheint ja viel anzubieten an Background. “Background ist Deutschland sehr wichtig,” versicherte ich nochmal erklärend meinen internationalen Kolleg*innen, die in der Zwischenzeit dabei warenihre Koffer zu packen. “Wir hören dir noch zu”, vernahm ich aus dem offenenKleiderschrank, “Wir müssen nur schonmal packen”. “Ah, wo geht’s hin?”. Leider klingelte es dann und das Taxi stand schon vor der Tür. Meine internationalen Kolleg*innen mussten zum Flieger. Ich weiss nicht, ob sie zurückkommen. Ich denke eher nicht. Vielleicht suchen sie nach Blumenmotiven in freundlicheren Klimazonen. Hier in Berlin wächst ja doch recht wenig in der kalten Jahreszeit.
hochachtungsvoll,
Franziska Biberkopf