Franziska Biberkopf an Claudia Roth

17 August 2023

Liebe Claudia Roth,

mein Name ist Franziska Biberkopf. Ich schreibe Ihnen um strukturelle Probleme im Kulturbereich anzusprechen. Ich teile die Besorgnis vieler meiner Kolleg*innen, dass sich im Kulturbereich und sogar in ihrem Hause eine Tendenz zur Vorverurteilung und Diskriminierung von Kulturarbeiter*innen aus Palästina und solchen, die mit der palästinensischen Sache solidarisch sind, breit macht.

Dieser Umstand ist umso besorgniserregender, als sich diese Tendenz besonders in Berlin bemerkbar macht – in der Hauptstadt eines Landes, das so sehr auf Erinnerung bedacht ist.

Liebe Frau Roth, in Ihrer Rede zur Wiedereröffnung des HKW im Juni haben Sie sich gegen diejenigen von uns positioniert, die sich mit dem Kampf der Palästinenser*innen für ein Leben in Würde und Gerechtigkeit solidarisch zeigen. In Verzerrung der Ziele und Praktiken der palästinensischen Bewegung „Boycott Divestment Sanctions“ (BDS) erklärten Sie, dass die Unterstützung von BDS oder „seiner Werte“ durch kulturelle Einrichtungen in Deutschland nicht geduldet wird. Diese Aussage steht im Kontext mit den zahlreichen Einschränkungen der Rede- und Meinungsfreiheit durch repressives Vorgehen deutscher Kultureinrichtungen. Die deutsche Feindseligkeit gegenüber Palästina und den Palästinenser*innen ist inzwischen weit verbreitet und systemisch.

Und es sind nicht nur Palästinenser*innen, die für ihre politische Meinungsäußerung mit Repressalien belegt werden. Auch diejenigen, die sich für sie einsetzen, sind davon betroffen. Es ist besorgniserregend, dass deutsche Institutionen heute aktiv jüdische Künstler*innen zum Schweigen bringen, die sich für Palästina einsetzen. Es ist nicht hinnehmbar, dass der wichtige Kampf gegen Antisemitismus für antipalästinensischen Rassismus instrumentalisiert und Antisemitismus mit Kritik an israelischer Politik vermengt oder gar gleichgesetzt wird. Auf diese Weise wird ein Klima der Angst und Einschüchterung erzeugt und die offene Debatte verhindert. Doch palästinensische Menschenrechte sind keine Verhandlungsmasse von Antisemitismusdefinitionen und deren Umdeutungen. Es ist besorgniserregend, dass jede Person, die sich heute in Deutschland für Palästina einsetzt, der Gefahr ausgesetzt ist, für ihr Engagement gekündigt, gefeuert und zensiert zu werden.

Wir alle erinnern uns an die Hasskampagnen, Medienangriffe und Zensuraufrufe gegen die Künstler*innen und das Kuratorenteam der Documenta15. Ende 2022 gab es eine mediale Kampagne gegen Matondo Castlo wegen seiner Teilnahme an einem Kulturfestival in Palästina. In der Zwischenzeit hat der Gropius Bau angekündigt, eine internationale Ausstellung zum Thema der Bandung-Konferenz auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Die Gründe dafür werden nicht öffentlich kommuniziert - aber intern heißt es, dass das Thema Dekolonialismus und die Künstler*innen, die sich damit befassen, in Deutschland als zu provokant angesehen werden. Diese deutsche Fragilität bei so wichtigen Themen ist auf problematische Weise „weiß‘“ und privilegiert. Solche Themen aus dem Diskurs einfach ausschließen zu können, muss man sich erst mal leisten können. Andere können das nicht und viele Deutsche wollen das auch nicht.

Ich glaube, dass niemand frei ist, solange nicht alle frei sind! Das schließt auch Sie ein, liebe Frau Roth.

Ich, Franziska Biberkopf, rufe Sie daher auf, wie ich die Demonstrant*innen bei der letzten Internationalistischen Queer Pride aufrufte, sich mir und meinen Mitstreiter*innen anzuschließen, sich für die Freiheit in der Kunst und Kultur einzusetzen und Ihr politisches Gewicht in diese Debatte einzubringen. Machen Sie Platz für Künstler*innen, die mutig nach Freiheit rufen. Wir wollen uns nicht mehr zensieren lassen. Kunstfreiheit ist unbequem, sonst ist sie keine.

Mit freundlichen Grüßen,


Franziska Biberkopf